Unwahrscheinlich reichhaltig ist die Vogelsberger Flora. Es gibt auch heute noch auf ganz versteckten Vogelsbergwiesen, unter Büschen, in den Wäldern die seltenen Pflanzen mit ihren eigenartigen Namen.
Da kennt man den Fingerhut. Er ist nicht nur ein „metallisch Ding“, das man zum Stopfen und Nähen benutzt, sondern auch eine streng geschützte Vogelsbergblume.
Der Eisenhut ist kein verstärkter Fingerhut. Er ist eine Pflanze mit dunklen, stahlblauen Blüten. Fast ausgestorben, kommt sie doch im Vogelsberg an wenigen Stellen noch vor.
Himmelsschlüssel sind keine Türöffner zur Ewigkeit; es sind strahlend gelbe Frühlingsblüher.
Ein Troll ist ein Zwerg, eine Trollblume aber ein stattliches Hahnenfußgewächs mit gelbem, kugeligen Kopf, die man im Volksmund etwas abwertend auch Glotzblume nennt.
Unter Türkenbund könnte man eine orientalische Kopfbedeckung verstehen. Bei uns ist das eine Blume: Die Vogelsberger Wappenblume!
Viele geschützte Pflanzen
wachsen im Vogelsberg wie der Fleisch fressende Sonnentau, der Aronstab, die Pestwurz, scharlachrotes Knabenkraut (die Kuckucksblume), Frauenschuh und das Waldvögelein, Seidelbast, Wasserlilien und Teichrosen. Doch es blühen auch allgemein bekannte Blumen auf den Wiesen, das Wiesenschaumkraut in weiß oder in blassblauer und rosa Färbung, die Bachnelke, die Kuckuckslichtnelke, Augentrost, Hahnenfuß, die Sumpfdotterblume, auch Butterblume genannt, das flockige Wollgras und die blaue Wegwarte, Ackerwinde und Ackersenf, roter Klatschmohn, tiefblaue Kornblumen, Taubenkropf und Wolfsmilch, Bährenklau und Kuhschelle, Frauenmantel und Storchenschnabel, die Witwenblume, Wiesenknopf, die Königskerze, die Schachbrettblume und das Hirtentäschelkraut – und mitten unter ihnen wächst ein besonders schönes, dunkelblaues Exemplar: Die Teufelskralle!
Löwenzahn färbt im Mai die Wiesen goldgelb
Löwenzahn färbt im Mai die Wiesen goldgelb, bevor wenig später mit den Margeriten und den kleinen Gänseblümchen weiß vorherrscht, aufgelockert mit den blauen Farbtupfen von Glockenblumen. Alles blüht, bis im Herbst die kleine rote Gewitterblume, die eigentlich Steinnelke heißt und die Herbstzeitlosen das Ende der Blütezeit ankündigen.
Der Vogelsberg ist schon groß an Kleinigkeiten. Man muss nur genau hinschauen, um sie zu entdecken, sollte sie aber bewahren und schonen, sonst wissen die, die nach uns kommen, nichts mehr von unserer herrlichen Flora und den teils merkwürdigen Namen, denn auch heute schon weiß fast keiner mehr, was ein Gänsefingerkraut ist oder wie natürlich der Waldmeister im Wald aussieht.
Volkstümliche Pflanzennamen I
Wie vielseitig der Volksmund von der Schriftsprache abweicht, findet man immer wieder in der dialektischen Ausdrucksweise der ländlichen Bevölkerung. Eigenartige Beobachtungen und teilweise auch Anlehnung an den Volksglauben lassen erkennen, wie verwurzelt die ländlichen Menschen mit ihrer Umgebung sind. Ein treffliches Beispiel finden wir in der Benennung vieler Pflanzennamen. Wenden wir uns zunächst den Gartenpflanzen zu. Hier finden wir, dass der Schnittlauch als Brislab bezeichnet wird, der Salat als Lattch, der Römische Kohl als Kihl, die Gurke als Gommen und der Feldsalat als Nessches. Auf den Wiesen entdecken wir den Knöterich, der Lauche oder Ochsenzunge heißt und dessen Blätter zu einem schmackhaften Gemüse verwendet werden, ähnlich dem Spinat. Statt Löwenzahn sagt man Oarbisch (aber nur in seltenen Fällen), statt Zittergras Hasenbrot, statt Klette Hoorketzel (Haarkitzel). Mancherorts ist der Goldlack als Veijulche bekannt. Die Gartennelke bezeichnet man als Grasblume, als Blaukopf die Skapiose. Reibt man die Blütenblätter des Tüpfelhartheus zwischen den Fingern, so hat man bald eine dunkelrote Farbe heraus gepresst, und erkennt daran die Beobachtung, die sich aus der Namensbildung Christi Blut ergibt, die besagen will, diese Blume hätte unter dem Kreuze des Heilands gestanden.
Die Glockenblume bezeichnet man ihrer Form nach als Fingerhut. Der durch seine großen goldgelben Blütensterne bekannte Bergwohlverleih muss sich mit dem Namen gelbe Gehannsblume begnügen. Füllt man diese Blumensterne in eine Flasche mit gutem Branntwein, so erhält man, nachdem die Mischung einige Zeit gut verkorkt stehen bleibt, ein wirksames Einreibemittel gegen rheumatische Schmerzen. Wegen der weißen Blüten des Wiesenschaumkrautes ist dieses als Milchblume bekannt. Im Spätsommer sind weite Flächen der Wiesen mit dem weißen Augentrost bestanden, der Liebfrauenbrot genannt wird, oder auch im Hinblick darauf, dass seine Wurzeln auf den Wurzeln der Gräser schmarotzen: Milchdieb.
Volkstümliche Pflanzennamen II
Besonders volkstümliche Namen tragen die Ackerunkräuter. Hier entdeckt man den Ackerschachtelhalm, unter der Bezeichnung Fuchsschwanz oder auch Traubenrock. Das wilde Stiefmütterchen heißt Hoffartsblümchen, weil es sich trotz seiner Niedlichkeit mit seiner lieblichen Farbe geltend machen will. Dem breitblätterichen Huflattich gibt man den Namen Eselslatte. Der Name Fette Henne ist im Volksmund kaum bekannt. Dagegen kennt man dieses Unkraut als Knatschkraut oder Schätzcheskraut. Letztere Namensgebung hat seine besondere Bedeutung. Weil dieses Unkraut beim Jäten schlecht dürr wird, legt man ihm die Bedeutung zu, ein Mädchen könne seinen Schatz damit bestimmen, indem es drei ausgejätete Pflanzen auf eine Dornenhecke hängt und sich für jede ausgehängte Pflanze einen sympathischen Burschen denkt. Diejenige Pflanze, die am längsten grün bleibt, zeigt dann den Zukünftigen an. Die lästige, sich schnell verbreitende Quecke wird Ziehgras genannt und für den distelähnlichen Hohlzahn ist der Name Hohlarsch gebräuchlich.
Die großen Blätter des Breitwegerichs nennt man die Brährewegsblerrer (Breitewegsblätter). Diese Blätter auf entzündliche Hautstellen gelegt sollen den Eiter herausziehen. Die echte Kamille trägt den einfachen Namen Kamel, die falsche Kamille heißt Hundsdill. Auch die echte Kamille besitzt eine Heilwirkung gegen Rheumatismus. Dem Pferdeampfer gibt man den Namen Halber Gaul.
Volkstümliche Planzennamen III
Nun noch einige Sträuchernamen. Der Flieder trägt den Namen Nelke. Als Judendorn bezeichnet man den Strauch der Heckenrose. Deren Früchte, die Hagebutte, sind die Arschkitzel. Die Früchte des Weißdornes sind als Hainapfel bekannt. Der Name Haselnuss findet im Vogelsberger Sprachgebrauch eine umgekehrte Benennung als Nesshessel (Nusshasel). Der Spitzahorn, als Heistergewächs bekannt, trägt den Namen Masellen. Sein festes Holz wurde noch bis vor nicht allzu langer Zeit im Winter in der Heimarbeit – besonders in Köddingen – zu Wäscheklammern verarbeitet.
Die früh schnittreife Saalweide bezeichnet man als Wäße Weide (Weizenweide), weil sie schon zur Zeit der Weizenernte geschnitten werden kann. Nachdem die weiche dünne Rinde abgeschabt war, wurden aus den weiß gebleichten Weiden die Brautkörbe geflochten, die zur Bereicherung des Hochzeitsgutes beitrugen.
Das Irrkraut
Ein Kraut sollte man im Vogelsberg meiden. Es ist das Irrkraut. Tritt man darauf, so verliert man vollkommen die Orientierung und man erkennt auch niemand mehr.
Ein Mann hatte nach einem Besuch im Dorf ein solches berührt. Er erkannte nicht einmal mehr seinen Bruder, der ihm entgegenkam. Obwohl dieser ihm den richtigen Weg anzeigte, irrte er weiter in Wald und Feld herum. Müde ruhte er und streifte die Schuhe von den wund gelaufenen Füßen. Als er weiter wollte, verwechselte er den linken mit dem rechten Schuh, und schon war der Spuk vorbei.