Handwerk

Altes Handwerk im Vogelsberg

Wie Storn­dorf für die Besen­bin­der, Hel­pershain für die Schuh­ma­cher, Reb­ge­shain für die Rechen­ma­cher, Ober Ohmen für die Mes­ser- und Gabel­her­stel­lung, so war Stum­per­ten­rod für die Korb­flech­ter, Köd­din­gen für die Löf­fel­schnit­zer und das Schnit­zen von Wäsche­klam­mern und Groß Fel­da in frü­he­ren Jah­ren für die Nagel­schmie­de bekannt.
„Hand­werk hat gol­de­nen Boden.“ Mit die­sem Sprich­wort aus der „guten alten Zeit“ denkt man an die dörf­li­chen Hand­wer­ker, die mit der vor­herr­schend bäu­er­li­chen Bevöl­ke­rung der Dör­fer aufs engs­te ver­bun­den waren. Man denkt auch an die gemüt­haf­ten Bezie­hun­gen, die die­se im Ver­hält­nis zu ihrer Kund­schaft hat­ten. Man denkt aber nicht an die mühe­vol­le Aus­übung des Hand­werks, das, wie der Name sagt, von Hand gemacht wur­de und Mus­kel­kraft und Aus­dau­er bean­spruch­te. Man ver­gisst auch, dass ein Arbeits­tag fast die dop­pel­ten Arbeits­stun­den im Ver­gleich zu heu­te hat­te, das Feh­len der Urlaubs­ta­ge gar nicht zu erwäh­nen. Wie gering der Erwerb der Aus­übung des Hand­werks war – trotz des Sprich­wor­tes – und wie hoff­nungs­los die Zukunft vor man­cher Hand­wer­ker­fa­mi­lie lag, wird wenig bekannt sein. Die The­se des gol­de­nen Bodens hat vie­le Aspek­te.

Alfred Bock, der im Jahr 1924 mit dem Georg-Büch­ner-Preis aus­ge­zeich­ne­te hes­si­sche Hei­mat­dich­ter, hat die­sen dörf­li­chen Hand­wer­kern des Vogels­bergs mit sei­nem Roman ‚Hau­sie­rer‘ ein blei­ben­des Denk­mal gesetzt.


Nagelschmiede in Groß-Felda

Noch bis kurz vor dem Krieg 1914/18 gab es in Groß-Fel­da etwa 30 Nagel­schmie­den. Meist waren es Ein-Mann-Betrie­be, in eini­gen Schmie­den arbei­te­ten aber auch bis zu drei Per­so­nen., oft Brü­der oder nächs­te Ver­wand­te, die zusam­men­ar­bei­te­ten. Die räum­li­chen Ver­hält­nis­se waren oft sehr beengt. Es wird berich­tet, dass frü­her täg­lich etwa 25 000 Nägel aus Groß-Fel­da her­aus­ge­gan­gen sei­en. Das Eisen, das ver­ar­bei­tet wur­de, bestand aus Rol­len, von denen dann Stä­be bis zu einer Län­ge von drei Metern abge­trennt wur­den. Die Lie­fe­rung erfolg­te durch Groß-Felda­er Geschäfts­leu­te, eben­so die Lie­fe­rung von Koh­len.
Die meis­ten Nagel­schmie­de hat­ten zwei Beru­fe. In den Som­mer­mo­na­ten arbei­te­ten sie als Zim­mer­leu­te, Mau­rer, Tage­löh­ner oder hat­ten eine klei­ne Land­wirt­schaft. Aber kaum waren die­se Arbei­ten been­det oder es gab im Som­mer Regen­ta­ge, reg­te sich die Arbeit in den Schmie­den. Nur weni­ge der Nagel­schmie­de arbei­te­ten das gan­ze Jahr durch­ge­hend am Amboß. Es war eine har­te und schwe­re Arbeit, die bereits mor­gens um 5.00 Uhr begann und erst am Abend gegen 20.00 Uhr ende­te, denn es war ja nicht damit getan, die Nägel mit den Armen zu schmie­den, son­dern die Bei­ne muss­ten den Bla­se­balg tre­ten, damit das Eisen im Feu­er schmie­de­ge­recht wur­de. Gar man­cher Schweiß­trop­fen rann bei die­ser Arbeit von der Stirn, um das täg­li­che Pen­sum von 1000 bis 1500 Stück zu errei­chen.

Trotz die­ser sehr schwe­ren Arbeit war der Ver­dienst sehr gering, wenn man bedenkt, dass 1000 ein­fa­che Schuh­nä­gel nur 1,50 Mark erbrach­ten, die Nägel für Schuh­ab­sät­ze aller­dings bis zu 3,- Mark das Tau­send. Man darf nicht ver­ges­sen, dass an den genann­ten Beträ­gen noch der Ein­kauf für das Eisen und die Koh­len abge­setzt wer­den muss­te.

Nach dem Schmie­den war die Arbeit noch nicht abge­schlos­sen. Es muss­te auch ver­kauft wer­den. Zwar wur­de der grö­ße­re Tel der in Groß-Fel­da her­ge­stell­ten Nägel an die Schuh­ma­cher und die ein­schlä­gi­gen Geschäf­te ver­kauft, doch muss­te der Rest wei­ter ent­fernt abge­setzt wer­den. Mit 60, sogar mit 70 Pfund Nägeln in einem Leder­ran­zen oder Zwerch­sack bzw. einer voll bepack­ten Schieb­kar­re zog man bis in die Gegend von Nid­da und Fried­berg.

Die indus­tri­el­le Fer­ti­gung setz­te die­se Haus­ge­wer­be schachmatt.


Die Köddinger Löffelschnitzer

Etli­che Fami­li­en in Köd­din­gen betrie­ben die Schnit­ze­rei durch Genera­tio­nen. Außer Löf­feln wur­den auch ande­re Küchen­ge­rä­te geschnitzt, doch hat­te der Löf­fel bei wei­tem den Vor­zug. Zum Schnit­zen wur­de Ahorn benutzt, wegen der beson­de­ren Weich­heit und hel­len Far­be des Hol­zes. Zum Schnit­zen von Salat­be­stecken gab man dem Kirsch­holz wegen der gefäl­li­gen brau­nen Fär­bung Vor­rang. Es wur­de Wert dar­auf gelegt, aus dem Holz mög­lichst vie­le Gegen­stän­de her­aus­zu­brin­gen, des­halb erba­ten sich die Schnit­zer bei der Forst­be­hör­de die Erlaub­nis, sich das Holz aus­su­chen zu dür­fen.
Nach­dem das Holz gut aus­ge­trock­net war, wur­de es auf die gewünsch­te Län­ge geschnit­ten und in gro­be Stü­cke gespal­ten. Das Werk­zeug zur wei­te­ren Ver­ar­bei­tung war der „Schnit­zer“, ein Schnitz­mes­ser mit nach innen gerich­te­ter Spit­ze. Wenn tag­aus und tag­ein geschnitzt wur­de, ver­fer­tig­te ein Schnit­zer, abzüg­lich der gro­ben Vor­ar­beit bei täg­lich 14 bis 15 Arbeits­stun­den durch­schnitt­lich 25 Löf­fel, für die er in der bes­ten Zeit pro Stück einen Erlös von zehn Pfen­nig hat­te. Die fer­ti­gen Löf­fel wur­den von den „Löf­fel­wei­bern“ in der nähe­ren und wei­te­ren Umge­gend im Hau­sier­han­del ver­kauft. Für alle Betei­lig­ten, Schnit­zer und Ver­käu­fe­rin­nen, reich­te der kar­ge Ver­dienst mit Mühe und Not für einen beschei­de­nen Lebensunterhalt.


Korbmacher von Stumpertenrod

Die Aus­übung des Gewer­bes unter­schied sich gegen­über den Löf­fel­schnit­zern dadurch, dass die Arbeit in den Häu­sern der Kund­schaft aus­ge­übt wur­de. Die Wei­den, das Mate­ri­al zur Her­stel­lung der Kör­be, wur­de von den Bau­ern gestellt. Als Heis­ter­ge­wächs, das was­ser­hal­ti­gen Boden bevor­zugt, wach­sen die Wei­den meist an Bach­läu­fen. Drei Arten sind bekannt: Die Sal­wei­de, auch Wei­zen­wei­de genannt, weil ihre Schnitt­rei­fe bereits mit der Wei­zen­ern­te beginnt, die Grau­wei­de und die Brach­wei­de, die bei­de im Spät­herbst geschnit­ten wer­den. Die bes­ten Eigen­schaf­ten zum Flech­ten besaß die Sal­wei­de, die an Län­ge, an Dünn­holz und Geschmei­dig­keit die ande­ren Arten weit über­traf.
Zunächst sor­tier­te der Korb­ma­cher die Wei­den. Zur Weich­ma­chung wur­den die gebün­del­ten Wei­den im kochen­den Was­ser gebrüht. Zur Her­stel­lung dau­er­haf­ter Kör­be wur­den sol­che Wei­den ver­wen­det, deren Schnitt bereits vor Jah­res­frist statt­ge­fun­den hat­te. Das Abbrü­hen stell­te die Geschmei­dig­keit wie­der her. Kör­be aus frisch geschnit­te­nen Wei­den hat­ten durch das Ein­trock­nen kei­ne lan­ge Gebrauchs­dau­er. Die Kör­be fan­den Ver­wen­dung zum Ein­le­sen und Tra­gen der Hack­f­rüch­te, daher der Name „Kar­tof­fel­korb“. Zur Her­stel­lung von wei­ßen oder bun­ten Wasch­kör­ben gehör­te das Abscha­ben der Rin­de. Hier­zu konn­te nur die Sal­wei­de benutzt wer­den. Ein sol­cher Korb gehör­te als „Braut­korb“ unbe­dingt auf den „Rum­pel­wa­gen“, der Hei­rats­gut und Haus­halts­ge­gen­stän­de nach aus­wärts hei­ra­ten­der Kin­der in deren neue Fami­lie brach­te. Heu­te sind die Wei­den­kör­be abge­löst durch Draht- und mehr noch durch Plastikkörbe.


Die Schindelmacher

In einem der ältes­ten Rei­se­be­rich­te über den Vogels­berg wird ver­wun­dert berich­tet, dass dort oben die Häu­ser mit Bret­tern zuge­na­gelt sind. Mit dem Werk­stoff ‚Schin­deln’ war der Autor wohl nicht ver­traut, mit den klei­nen etwa 8 cm brei­ten und 20 cm lan­gen Brett­chen, die an der abge­run­de­ten Sei­te 1 cm stark sind und zur Gegen­sei­te hin auf 1 mm aus­lau­fen. Nach dem ‚Vor­bild der Tan­ne­zap­fen’ sind vie­le Fach­werk­häu­ser im Vogels­berg mit sol­chen Brett­chen, etwa 200 Stück je Qua­drat­me­ter, ver­schin­delt – oft nur an den Wet­ter­sei­ten, wie fast allen alten Häu­sern im Felda­tal zu sehen ist.

‚Schin­del­ma­chen’ war Win­ter­ar­beit in den meis­ten Bau­ern­hö­fen des Vogels­bergs. Die­se Art Hand­ar­beit ist heu­te aus­ge­stor­ben. Nur noch ver­ein­zelt wer­den die klei­nen Brett­chen maschi­nell her­ge­stellt. Dabei hat sich die ursprüng­li­che Schin­del­form im Lau­fe der Zeit ver­än­dert. Nutz­te man frü­her Eichen­holz, so wird als Mate­ri­al heu­te fast aus­schließ­lich Buchen­holz verarbeitet.


Huf- und Wagenschmiede

Wenn man frü­her bei Son­nen­auf­gang durch die Dorf­stra­ßen ging, hör­te man schon von wei­tem das Klin­gen der schwe­ren Eisen­häm­mer auf den Ambos­sen der Dorf­schmie­de. Durch die Tech­ni­sie­rung ist die­ses Gewer­be fast voll­stän­dig aus den Dör­fern ver­schwun­den. Der Huf- und Wagen­schmie­de­be­ruf war einst einer der wich­tigs­ten Beru­fe in unse­rer Gemein­de, denn die Pfer­de muss­ten einen ord­nungs­mä­ßi­gen Beschlag gera­de in dem ber­gi­gen Gelän­de haben.
Aber nicht allein Pfer­de wur­den beschla­gen; auch Kühe, die zum Fah­ren gebraucht wur­den, beka­men Eisen­plat­ten auf­ge­schla­gen. Die Acker­wa­gen muss­ten beschla­gen wer­den. Bereits im vori­gen Jahr­hun­dert muss­te ein Schmied neben der Gesel­len­prü­fung eine beson­de­re Prü­fung im Huf­be­schlag able­gen. In frü­he­ren Jah­ren wur­de ein Huf­ei­sen aus irgend einem Stück Eisen selbst her­ge­stellt. Die­ses wur­de glü­hend gemacht und auf­ge­spal­ten, wozu drei Per­so­nen benö­tigt wur­den. Es war schon eine Kunst, dem Eisen die rich­ti­ge Form zu geben. Erst nach dem Ers­ten Welt­krieg kamen fer­tig gebo­ge­ne Huf­ei­sen aus den Fabri­ken. Die­se waren jedoch auch nicht fer­tig zum Auf­schlag, hier muss­ten noch Grif­fe und Stol­len auf­ge­schweißt wer­den.

Bevor das Eisen auf­ge­schla­gen wer­den konn­te, muss­te der Huf sau­ber bear­bei­tet wer­den, dann erst wur­de es ange­passt. Dies geschah meis­tens durch Auf­bren­nen. Beim Auf­schla­gen des Eisens muss­te beson­ders auf­ge­passt wer­den. Die Huf­nä­gel muss­ten genau in einer Rei­he sitzen.