Weltweite Wirtschaftsverflechtungen haben uns in der heutigen Zeit besonders bei den Grundnahrungsmitteln vom regionalen Klima unabhängig gemacht. Früher jedoch waren auch kleinteilige Wettereinflüsse entscheidend für die Ernährung der heimischen Bevölkerung, die ja zum größten Teil auf Selbstversorgung beruhte. So verwundert es nicht, dass in vielen Kirchenchroniken Notizen über das Wetter und seine Folgen zu lesen sind. So hat z. B. der für Ermenrod zuständige Pfarrer im Jahr 1858 festgehalten: „Ein äußerst trockener Sommer, Folge: Futtermangel. Viele Bauern mussten ihr Vieh abschaffen. Im Herbst blühten die Apelbäume und Rosenstöcke zum zweiten Male.“ Und der Pfarrer von Groß-Felda schrieb: „1880 Starker Frost. Im Kreis Alsfeld wurden folgende Obstbäume durch Frost vernichtet: 99.422 Zwetschgen- und Pflaumenbäume, 17.186 Apfelbäume, 5.356 Birnbäume, 2.107 Kirschbäume, 275 Nussbäume“. – Einige dieser Aufzeichnungen wollen wir Ihnen hier zur Verfügung stellen.
Strenger Winter 1886 – 1887
Der Winter 1887 begann ziemlich zeitig im Dezember des Vorjahres mit heftiger Kälte und einem solch mächtigen Schneefall und heftigen Schneestürmen, wie es selbst in unserem raueren Klima selten ist. Um die Weihnachtszeit war wochenlang weit und breit aller Verkehr aufgehoben. Eisenbahn und Post blieben stecken. Zwischen Alsfeld und Gießen war drei Tage lang kein Zugverkehr.
Die Zeitungen haben zahlreiche Berichte von erschütternden Unglücksfällen gebracht, welche dieses Unwetter leider im Gefolge hatte. So kamen in Schotten allein in wenigen Tagen an dreißig Menschen, die unterwegs waren, ums Leben, teils vor Kälte, teils vor Erschöpfung, teils vom Schnee verschüttet.
Der Winter regierte in dieser Strenge bis weit in den April. Ihm folgte ein schönes Frühjahr, ein kalter, nasser Mai, aber ein warmer trockener Sommer. Infolge der großen Dürre war die Ernte nur eine geringe, die Kartoffeln alleine lieferten einen guten Ertrag. September war wieder nass und kalt. Mitte Oktober zog der Winter ein mit Schnee und Eis und herrschte mit kurzen Unterbrechungen bis zum 20. April 1888. Man glaubte sich nach Sibirien versetzt!
Wenn es nicht wintert, sommerts auch nicht, pflegt man in der hiesigen Gegend zu sagen. Man erwartet demnach nach einem strengen Winter einen richtigen Sommer, wie er sein soll. Diesmal vergebens. Frühling und Sommer 1888 waren eigentlich nur eine Art Nachwinter.
Heißer Sommer 1893
1892 war ein äußerst fruchtbares Jahr. Alte Leute konnten sich nicht erinnern, so viel Getreide auf den Speichern gesehen zu haben. Doch das Jahr 1893 brachte eine fatale Dürreperiode.
Seit dem 23. Februar 1893 hat es nun nicht mehr geregnet. Nur zwei- oder dreimal hatten wir in dieser langen Zeit Regen, aber jedesmal nicht länger als drei oder vier Stunden. Die ältesten Laute entsinnen sich nicht, dass jemals eine gleiche Dürre geherrscht habe. Allenthalben begegnet man Gesichtern voll Verzweiflung. Auf den Feldwiesen steht keine Spitze Gras. Am 20. Juni sind die Leute allenthalben der Verzweiflung nahe. Unsere Dörfer sind hauptsächlich auf Viehzucht angewiesen, und jetzt ist kein Futter da.
Das Gras auf den Wiesen war verbrannt, die Frucht auf den Feldern verkümmert. Die Ställe waren voller Vieh. So mussten die fiskalischen Wälder geöffnet werden. Es wurde ein „Grastag“ anberaumt zum Grasrupfen, Laubrupfen und Himbeersträucher. Das Gebund kostete 10 Pfg. Die Schule fiel an diesen „Grastagen“ aus. Die Kinder mussten fleißig mithelfen. Selbstverständlich kam es auch zu „Futterfrevel“. Mitte Juni wurde das Gras auf der Hessenbomwiese im Walde nach Hainbach geklaut. Vom 21. Juni gingen die Leute ohne Erlaubnis in die Wälder. Die Not war groß!
Mitte Juni waren in den Waldwiesen nach Hainbach 1000 Stück Vieh aus den umliegenden Orten Hainbach, Ermenrod, Otterbach, BurgGemünden, Nieder-Gemünden Rülfenrod und Ehringshausen auf der Weide. Das Vieh sieht entsetzlich aus. Wenn es des Mittags von der Weide kommt, auf der nichts ist, schreit es vor Hunger. Wenn es Gott nicht noch ändert und bald Regen schickt, gehen wir einer furchtbaren Hungersnot entgegen. Ach Herr, bewahre uns davor gnädiglich!
Am 21. Juni wird die Not noch größer, Sonnenschein, nichts als Sonnenschein. Viel Vieh wurde abgeschlachtet. Der Preis für Rindfleisch sank auf 30 Pfg. das Pfund, ein Kalb kostete zwischen 6 und 8 Mark. Das Gemeindheugras stieg von 20 Mark auf 70 Mark.
Am 24. Juni haben wir einen Gedächtnisgottesdienst gehalten und niemals eine andächtigere Gemeinde gehabt. Man schreit nach Gottes Hilfe. Heute Nachmittag fiel Regen. Ach wäre es das Ende der Dürre. Es ist für jede Frucht höchste Zeit. Das Heu ist fast ganz verloren. Hoffentlich entschädigt das Grummet. Teilweise wurde das Pfund Fleisch schon zu 15 Pfennig angeboten. Die Leute haben sich überall auf das Schlachten gerüstet. Das Vieh selbst ist unverkäuflich.
Der Regen hat bis jetzt, dem 28. Juni, wenn auch nur zeitweise, sanft strömend angehalten. Er dringt nur allmählich ein. In den Feldwiesen wirds an einigen Stellen grün. Danket dem Herren und seine Güte währet ewiglich.
Am 1. Juli ist die Dürre wieder da. Der Regen hat seit vorgestern wieder aufgehört. Der Kirchenvorstand hat jetzt wöchentlich Bittgottesdienste eingerichtet. Am 5. Juli Abend soll der erste sein.
Am 8.Juli immer noch kein Regen. Die Not ist auf den Gipfel gestiegen. Gott sei gedankt am 12. Juli. Seit gestern anhaltender Landregen. Heute Abend 6 Uhr war ein Dankgottesdienst in zahlreich versammelter Gemeinde.
Der letzte erwähnte Landregen hielt an. Aber die Heuernte war verloren. Das Grummet dagegen wuchs überreichlich. Die Kartoffelernte gab einen selten gesehenen Segen, doch mit Winter- und Sommerfrucht konnte man nicht zufrieden sein. Auch gab es reichlich Kraut, wenn es auch zu einem geringen Preis verkauft werden musste.
Wooswetter im Winter 1894 – 1895
Der Winter 1894/95 ist einer der schlimmsten gewesen, die der Vogelsberg überhaupt gehabt hat. Selbst die ältesten Leute erinnern sich nicht, so lange eine solche Menge Schnee gesehen zu haben. Auf den Staatsstraßen marschierte man fast ununterbrochen, und so Monate lang, zwischen Schneemauern in der Höhe zwischen einem und drei Metern, die der Straßenwart aus dem auf der Straße liegenden Schnee aufgetürmt hatte. So kamen an einen Schneeschipper von Seiten des Fiskus über 1100 Mark. Der Verdienst war umso willkommener, als vier Monate lang der Wald, in ihm lagernden Schneemengen halber, den Holzhauern verschlossen war.
An manchen Tagen war das „Wooswetter“ ein ganz fürchterliches. An einem Abend im Februar tobte es so, dass die Post von der Straße bei der schwarzen, von dem fallenden und wirbelnden Schnee verstärkten, Finsternis abkam und nach dem Friedhofe fuhr. Unglaublich – aber wahr! – Die Temperaturen lagen am 6. 7. und 8. März bei minus 15 und 16 Grad.